MFG - SANKT ISLAM IN ZEITEN DES TERRORS
SANKT ISLAM IN ZEITEN DES TERRORS


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

SANKT ISLAM IN ZEITEN DES TERRORS

Text Michael Müllner
Ausgabe 02/2015

In Paris werden Karikaturisten erschossen, weil sie den Propheten beleidigen, und Juden, weil sie Juden sind. Kämpfer des „Islamischen Staats“ köpfen Christen, verbrennen Muslime, stoßen Homosexuelle von Türmen in den Tod. Der Wahnsinn hat sich den Namen des Propheten auf die Fahne geschrieben und versetzt die Welt seither in Schrecken. Wie gehen St. Pöltens Muslime mit diesem Irrsinn um?

Zuletzt hatten wir uns im Spätsommer des letzten Jahres getroffen. Freundlich führen mich junge Männer durch ihr „Islamisches Kulturzentrum“, zeigen mir Gebetsräume, servieren Tee und erzählen aus ihrem Leben. Es zeigt sich eine funktionierende Gemeinde, es berichten Menschen, die ihren Glauben ernst nehmen und Tag für Tag daran arbeiten. Nach den Mordanschlägen von Paris und Kopenhagen sowie dem schockierenden Fall eines 14-jährigen St. Pöltner Schülers, der im Verdacht steht mit religiös motivierter Gewalt zu sympathisieren und der derzeit wieder in Untersuchungshaft sitzt, hätten wir dann aber doch noch ein paar Fragen an St. Pöltens Muslime.
Wir beginnen unsere Bestandsaufnahme in St. Pöltens größter Moschee, jener des „Islamischen Kulturvereins Mevlana“ in der Matthias Corvinus-Straße. Bis zu 450 Gläubige aus knapp zwanzig Nationen finden hier ein religiöses und soziales Zuhause. Der Verein ist eine soziale Drehscheibe, nicht nur eine Gebetshaus. Bei Tee und Keksen lassen wir die Reaktionen auf die letzte Reportage Revue passieren: Viele Leute sind neugierig und aufmerksam geworden, so der Tenor. Das kommt dem Ziel des Vereins entgegen, man will doch verstärkt transportieren, dass man ein offenes Haus ist und dabei versuchen, den Islam einer breiten Bevölkerungsgruppe zu erklären. Ahmet Pek und Enes Pek, Obmann und Jugendobmann, erzählen uns Folgendes:
Wieso sich Moslems über Mohammed-Karikaturen aufregen? Uns sind alle Propheten von Adam bis Mohammed heilig. Sie haben so viel Gutes für uns Menschen getan, da schmerzt es Gläubige eben, wenn man sich über sie lustig macht. Wo bleibt der Respekt vor dem, was uns heilig ist? Welchen Sinn sollen diese Karikaturen haben, außer Menschen zu verletzen? Aber aus dieser Einstellung heraus darf man niemals eine Begründung ableiten, anderen Leid anzutun oder sie gar zu töten! Der Islam sagt, wenn man einem Menschen Leid zufügt, dann fügt man das Leid der ganzen Menschheit zu. Die Anschläge in Paris sind durch nichts zu rechtfertigen.
Es ging aber nicht nur um Anschläge auf die Meinungsfreiheit sondern auch um Anschläge auf Juden. Wir denken, so wie es nicht ‚die Muslime‘ gibt, so gibt es auch nicht ‚die Juden‘. Ja, es gibt Kritik an der Politik Israels, der Palästinenserkonflikt ist für viele von uns natürlich ein emotionales Thema. Aber auch Juden sind mit der israelischen Politik nicht immer glücklich. Das sollte man nicht vordergründig als religiöses Problem sehen. Nach einem Anschlag oder einem kriegerischen Angriff, wenn solche Themen in den Nachrichten sind, wird natürlich auch bei uns diskutiert. Aber im Alltag haben die Menschen ganz andere Themen, die sie bewegen. Wenn wir uns bewusst machen, dass eigentlich die ganze Welt dem Schöpfer gehört und nicht Juden, Moslems oder Christen, dann sollten wir Menschen doch eigentlich auch für so große Konflikte wie im Nahen Osten eine Lösung finden. Es braucht wohl einen echten ‚Weltkongress’, aber nicht nur mit Politikern, sondern auch mit weisen Menschen, die sich dem Thema mit dem Herzen nähern.
Da viele Muslime in Österreich auch türkisches oder arabisches Fernsehen schauen, haben wir sehr unterschiedliche Perspektiven und können die unterschiedlichen Wahrheiten vergleichen. Ganz drastisch ist das etwa, wenn wir an die Revolution in Ägypten denken. Und wenn in Europa die Meinungsfreiheit von Charlie Hebdo verteidigt wird, dann könnte man sich doch auch für die Meinungs- und Religionsfreiheit von Palästinensern stark machen – die wird vom israelischen Staat nämlich verhindert.
Mit dem neuen Islamgesetz soll die Ausbildung von Imamen in Österreich geregelt werden und die ausländische Finanzierung von muslimischen Glaubensvereinen verhindert werden. Wir sehen darin für uns kein großes Problem, da wir ein unabhängiger Verein sind und unsere Mitglieder die Kosten für unseren Imam selber tragen. Wir setzen vereinzelt Projekte gemeinsam mit Dachorganisationen um, aber abhängig vom Ausland sind wir dadurch nicht. Unser Imam lebt schon seit fünf Jahren in St. Pölten, er hat sich gut eingelebt und kennt die Gesellschaft hier. Das ist uns sehr wichtig. Die Ausbildung in Österreich ist erst am Anfang, es gibt viele Sorgen, gerade welche Art von Islam an diesen Schulen gelehrt wird. Aber die Idee an sich ist richtig. Man muss aber auch ganz pragmatisch sagen, dass wir die Sorge haben, dass es zu wenig Imame geben könnte, trotz der neuen Ausbildung. Die Arbeit in einer Gemeinde ist nicht leicht, man ist als Seelsorger wirklich gefordert. Stellen Sie sich vor, unsere Gläubigen stellen dem Imam ja nicht nur Fragen, sondern geben ihm auch gleich die passenden Antworten. Wir hoffen also, dass viele Leute, die diese Ausbildung machen, dann auch tatsächlich für die Gläubigen als Seelsorger zur Verfügung stehen werden!
Oft wird die Rolle des Imam auch überschätzt bzw. übertrieben. Man liest in den Medien, dass die Gläubigen an den Lippen des Imam hängen würden und angeblich seiner Ideologie blind folgen. Angeblich sollen radikale Imame quasi per Predigt aus Gläubigen Radikale machen. Für uns ist das alles unvorstellbar. Bei uns läuft das nicht so. Imame werden hinterfragt, so wie Christen ja auch die Worte des Pfarrers hinterfragen.
Zugleich fragen wir uns, wie es sein kann, dass ein 14-jähriger Bursche aus St. Pölten derart radikalisiert wird, dass Familie und Freunde jeden Zugang verlieren, dass er laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Internet Anleitungen zum Bombenbau herunterlädt und angeblich sogar an Anschläge denkt? Auch das ist für uns völlig unglaublich. Als wir aus den Medien von diesem Vorwurf erfahren haben, waren wir alle schockiert. Wir wussten anfangs nicht, wer das sein soll, erst mit der Zeit haben wir ein paar Details vom Hörensagen erfahren. Tatsächlich hatten wir zu ihm keinen Kontakt, wir kannten ihn nicht, er war nie da. Wir arbeiten täglich mit vielen Jugendlichen. Es ist wirklich sehr schwierig, dass wir die Kids überhaupt zu Aktivitäten motivieren. Wenn wir nach Wien zu einem anderen Prediger fahren wollen, dann muss man da ewig dahinter sein, damit sie überhaupt mitfahren. Die Kids wollen Fußballspielen, sind das erste Mal verliebt … und dann soll es da gleichzeitig radikale Teenager geben, die auf Youtube Videos anschauen und ernsthaft daran denken, nach Syrien in den Krieg zu ziehen? Unglaublich. Wenn wir bei ISIS bleiben, also dem Islamischen Staat, für die sind wir österreichische Muslime genauso ‚Ungläubige’ wie ihr Christen. Vor denen müssen wir genauso viel Angst haben, wir sitzen im gleichen Boot.
Wenn du als Österreicher keine Ahnung vom Islam hast und bei unserem Fenster vorbeigehst und hörst, dass wir beim Gebet ‚Allahu akbar’ rufen – und dich das an die Nachrichten erinnert, als du gesehen hast, wie ein Verrückter einen Polizisten erschießt und dabei ‚Allahu akbar’ schreit – na dann ist uns klar, dass dir das Angst macht. Aber an dieser Angst müssen wir arbeiten. Wenn ein junger Mensch von seiner Familien den Glauben vermittelt bekommt, dann wird er nicht radikal. Wer mit Extremismus und Terrorismus sympathisiert, hat in Wahrheit einfach keine Ahnung vom Islam und ist darum leichte Beute. Bei dem besagten Jugendlichen wissen wir auch, dass er wenig Ahnung vom sunnitischen Glauben hatte und erst vor Kurzem begann, sich damit zu beschäftigen. Offenbar wurde er auch von Leuten im Ausland manipuliert.
In St. Pölten klappt das Zusammenleben von Muslimen untereinander aber auch mit anderen Religionsgemeinschaften völlig problemlos. Wir akzeptieren jede Religion, jeder Mensch ist frei und muss selber entscheiden, ob er glaubt und was er glaubt. Gelegentlich gibt es Anlässe, bei denen man sich trifft, aber die Glaubensgemeinschaften sind alle selbständig und da sieht man sich dann auch nicht so häufig. Unser Verein wurde ja schon 1996 gegründet, als die damalige Glanzstoff-Fabrik einen Gebetsraum für die Mitarbeiter geschlossen hatte. Damals war das Vereinsziel nur, dass wir Sunniten einen Raum zum Beten haben. Mit den Jahren sind wir gewachsen, personell und auch inhaltlich. Da ist es nicht verwunderlich, wenn sich auch mal Leute finden, die eigene Wege gehen wollen. Rund um 2000 gab es so eine Trennung und diese Glaubensbrüder haben in Wagram die „Osman-Pasa-Moschee“ gegründet. Wir sind natürlich weiterhin in gutem Kontakt, sehen uns aber mit unseren 18 verschiedenen Nationalitäten als betont „Islamischer Kulturverein“ – ohne einen nationalen Bezugspunkt, beispielsweise zur Türkei. Wir leben in Österreich, das ist der einzige Zugang zur Nationalität, wenn man so will.
Wir sind auch der Meinung, dass es ein großer Vorteil ist, wenn man mehrere Kulturen in einem Verein hat oder auch wenn man selbst als Mensch auf mehrere Kulturen und Traditionen zurückgreifen kann. Man nimmt sich das raus, was einen glücklich macht und führt so verschiedene Kulturen in sich selbst zusammen. Eine typische Frau in erster oder zweiter Generation hat mehrere Kinder, die sind zur Schule oder Uni gegangen und haben nun gute Jobs. So eine Frau hat – auch wenn sie „nur“ zuhause war und sich um die Familie gekümmert hat – einen wichtigen Job erledigt. Der Stellenwert der Hausfrau wird in der österreichischen Gesellschaft oft unterschätzt, da ist in der türkischen Familie die Rolle sicher eine andere. Aber das ändert sich auch mit den Generationen, es gleicht sich an. Ein häufiges Vorurteil ist ja auch, dass die muslimischen Frauen immer von ihren Männern unterdrückt werden. Da gibt es einen guten Scherz dazu: „Der türkische Mann hat immer das letzte Wort. Es ist ‚Ja, Schatzi!‘“ Und es ist auch ein völliger Blödsinn, dass man junge Frauen mit türkischen Wurzeln, die in ihrer Familie die dritte Generation in Österreich darstellen, zu irgendwas zwingen kann. Diese Frauen haben – auch in ihrer Familie – eine freie Entscheidung zu treffen, wie sie den Glauben leben wollen und ob sie ein Kopftuch tragen. Aber oft wird nur über einen angeblichen Zwang in der Familie diskutiert, nicht über den Zwang von Außen, wenn Mädchen oder Frauen plötzlich schief angeschaut werden, weil sie sich entscheiden ein Kopftuch zu tragen.
Sicher, es mag schon gut sein, dass es in anderen islamischen Ländern unterdrückte Frauen gibt, aber dafür darf man doch nicht uns hier verantwortlich machen! Ein schrecklicher Aspekt ist etwa die Beschneidung der Frau – mit dem Islam hat dieses Brauchtum aber nichts zu tun, es geht vielmehr auf regionale Riten und afrikanische Traditionen zurück. Ein ganz wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch die Bildung. Wer sich über seine Religion bildet, kann auch diesbezügliche Entscheidungen tatsächlich frei treffen. Darum wollen wir in unserem Zentrum unsere Jugendlichen auch möglichst rundherum bilden, da ja auch der Glaube eines Menschen im Herzen reift. Das kann dauern, jede Art von Zwang ist dabei völlig fehl am Platz.
Wir denken auch, dass die Frage der Integration sehr von der Generation abhängig ist. Wer in erster Generation nach Österreich kommt, der hat natürlich große Hürden zu nehmen. Wenn wir an unsere Großväter zurückdenken, die als erste Gastarbeiter nach Österreich gekommen sind … die wollten sich einen Traktor verdienen und dann wieder heim nach Anatolien. Für die waren der Erwerb der Sprache und das Kennenlernen der österreichischen Kultur weniger wichtig, da gab es diese oft kritisierten Parallelgesellschaften. Die zweite Generation war oft noch hin- und hergerissen. Aber wenn heute ein junger Mensch in der dritten Generation hört, er soll sich „in die Türkei heimschleichen“, dann kann man doch nur lachen. Wir sind hier geboren, sind Österreicher. Wenn wir in die Türkei fahren, dann machen wir dort Urlaub und treffen vielleicht entfernte Verwandte, die wir nicht wirklich kennen. Als Österreicher mit „Migrationshintergrund“ in der dritten Generation braucht man uns nicht mehr erklären, dass wir uns erst integrieren müssen. Wir sind integriert! Es ist aber auch kein Nachteil, wenn man einen Bezug zur Kultur und Tradition der Eltern- oder Großeltern-Generation hat.
Auch heute ist es für Flüchtlinge sicher nicht leicht, da muss man natürlich Integration auch fordern und dazu bereit sein. Aber Integration ist ein schwieriges Wort, wir müssten uns zuerst einig sein, was damit gemeint wird. Wenn wir beispielsweise an die heftig diskutierte Gruppe der Tschetschenen denken – ja, mit denen tun wir uns auch oft schwer. Da gibt es tatsächlich öfters Reibereien, man hat den Eindruck, sie reagieren schnell provoziert. Aber wenn man sich die traumatischen Kriegserlebnisse dieser Menschen vorstellt, dann versteht man sie vielleicht auch etwas besser. Uns fällt auf, dass tschetschenische Kinder unglaublich schnell deutsch lernen, sie sind sehr gut in der Schule, tschetschenische Frauen nehmen sehr aktive Rollen ein – alles berechtigte Forderungen, wenn es um Integration geht. Generell lassen sich viele Probleme über Bildung in den Griff bekommen. Aufeinander zugehen, keine Angst voreinander haben. Einfach den anderen respektieren.
Unsere Reise ins muslimische St. Pölten bringt mich als nächstes nach Unterwagram. Hier ist im Jahr 2000 ebenfalls ein sunnitisches Zentrum mit Moschee entstanden. Ahmet Soylu ist ein stellvertretender Sprecher des Vereins „Osman Pasa“, er berichtet aus dem Vereinsleben und übersetzt die Meinung von Imam Mithat Pinar, der ebenfalls am Gespräch teilnimmt, jedoch nicht Deutsch versteht.
Unser Verein will nicht nur Räume zum Beten bieten, sondern ist auch im Hinblick auf Sport-, Kultur- und Jugendarbeit tätig. Zudem sind wir ein Hilfsverein, wenn mal jemand in Not gerät. Dabei sind wir immer auf freiwillige Spenden angewiesen, öffentliche Förderungen würden wir zwar brauchen, bekommen wir aber leider nicht. Wir sind ein unabhängiger Verein mit rund 200 Mitgliedern, jedoch könnten wir uns ohne fremde Hilfe unseren Vorbeter, den Imam, nicht leisten. Jetzt haben wir folgende Lösung gefunden: Unsere Mitglieder tragen die Kosten für den Imam in Österreich, der türkische Staat übernimmt die Kosten für die Versicherung des Imams und die Versorgung seiner Familie in der Türkei. Wenn das in Zukunft nicht möglich wäre, wäre das für uns ein großes Problem, darum sehen wir auch das neue Islamgesetz mit gemischten Gefühlen. Auch wenn uns vieles noch unklar ist, so erwarten wir dennoch Vor- und Nachteile. Dass Imame in Zukunft in Österreich ausgebildet werden, ist ja an sich eine gute Idee. Wir haben aber die Sorge, dass der vermittelte Islam nicht dem entspricht, was unsere Glaubensrichtung ausmacht, dass also der Islam aus unserer Sicht nicht richtig gelehrt wird. Im Islam gibt es verschieden Religionsgelehrte mit unterschiedlichen Perspektiven – auch wenn die Richtung sozusagen gleich ist, so gibt es doch wichtige Unterschiede für uns.
Das Zusammenleben mit anderen muslimischen Glaubensrichtungen oder anderen Religionsgemeinschaften läuft problemlos. Wir akzeptieren jede religiöse Auffassung, die Menschen für sich wählen.
In unserem Verein haben fast alle Mitglieder türkische Wurzeln. Das ist zwar kein Kriterium, aber es hat sich halt so im Laufe der Zeit ergeben. Darin unterscheiden wir uns auch zur Mevlana-Moschee. Natürlich haben wir auch die Diskussionen rund um die Politisierung des Islams und um die Präsidentenwahl in der Türkei verfolgt. Warum sich österreichische Politiker und Medien da so aufregen, ist uns aber nicht klar. Die Leute verfolgen halt, was in der Türkei basiert. Vor ein paar Jahrzehnten war das Land arm. Viele Türken sind mit der Politik von Erdogan zufrieden. Gerade die dritte Generation ist aber weit davon entfernt, dass sie in die Türkei zurückkehren möchte – für die spielt die türkische Politik keine Rolle.
Auch wir hören oft Vorwürfe zur Integrationswilligkeit. Da muss man aber mal feststellen, dass Integration ja kein deutsches Wort ist. Was heißt denn Integration genau? Jeder versteht was anderes darunter. Wir sind unserer Meinung nach wirklich sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert – aber es kann schon sein, dass einer unserer Nachbarn das ganz anders sieht. Denen sind wir vielleicht zu laut. Das verstehe ich auch, wenn bei uns hundert Leute ein Fest feiern, dann ist es natürlich laut. Wenn unsere Kinder am Nachmittag spielen, dann sind sicher auch welche zu laut. Wir im Morgenland gelten halt eher als Abendmenschen, das mag auch ein bisschen mitspielen, dass wir nicht immer die besten Nachbarn sind. Aber deswegen sind wir ja nicht integrationsunwillig. Und wenn wir anlässlich hoher Feiertage eine türkische Fahne aufhängen, dann hängt daneben die österreichische Fahne.
Oft heißt es, dass im Islam die Frauen unterdrückt werden. Dabei hat der Islam sogar vor dem Christentum wesentliche Frauenrechte eingeführt. Die Rolle der Frau ist nicht vor einem religiösen Hintergrund zu sehen sondern eher vor einem sozioökonomischen. Wenn Gesellschaften reicher und gebildeter werden, dann geht das Patriarchalische eher verloren – das ist auch gut so. Unsere Gemeinschaft hier ist für Männer und Frauen, nur beim Beten gibt es, entsprechend dem islamischen Brauch, getrennte Räume für Frauen und Männer. Und wenn Sie hier in die Runde sehen und nur ältere Männer sehen, dann hat das eher mit der Uhrzeit zu tun. Die Frauen sind wohl zu Hause, betreuen Kinder oder Enkelkinder, während die Männer oft Schichtarbeiter sind und darum vielleicht gerade frei haben. Manche sind arbeitslos und finden hier gesellschaftlichen Anschluss. Am Wochenende ist der Frauenanteil gewaltig hoch, dann haben die Frauen das Kommando.
Wir betonen auch immer, dass der Islam ein friedlicher Glaube ist. Wenn jemand Anschläge auf eine Zeitung oder auf Juden verübt, dann kann er das nie mit dem Islam rechtfertigen. Der Islam ist gegen Gewalt, gegen Tötung. Der Islam akzeptiert alle Propheten und alle Religionen. Wir als Menschen haben darum auch nicht die Freiheit um uns über Propheten lustig zu machen, aus Respekt vor diesen! Aber daraus lässt sich nie eine Rechtfertigung für Gewalt ableiten!
Über den 14-jährigen St. Pöltner Jugendlichen, der angeblich mit Extremismus sympathisiert hat und nun in U-Haft sitzt, können wir nichts sagen. Wir kennen ihn nicht, haben nur gehört, dass er wenig Ahnung vom Islam hatte und dann von Fremden auf eine falsche Ideologie angesetzt wurde. Aber wir würden ihn gerne bei uns integrieren, ihm vermitteln, was den Islam wirklich ausmacht. Man sieht, wie schnell es gehen kann, wenn jemand keine Ahnung hat. Bei unseren Mitgliedern kann so was nicht passieren, wir haben keine radikalen Gläubigen unter uns.
Abschließend spreche ich mit Mehmet Mercan, Obmann und Seelsorger der St. Pöltner Aleviten-Gemeinde. Gegründet wurde der ehrenamtliche Verein 1988 mit 40 Mitgliedern, heute sind es ca. 600. Rund 1.500 Menschen in der Region zählen zur Alevitischen Glaubensgemeinschaft.
Der alevitische Glaube hat zwar die gleichen Wurzeln wie der Islam, jedoch trennen uns dann doch große Unterschiede. Wir denken, dass Gott in jedem Menschen wohnt, darum beten wir nicht in eine Himmelsrichtung sondern im Halbkreis uns selbst zugewandt. Es gibt keine Kleidungsvorschriften. Und zu den Machern von „Charlie Hebdo“: Die haben alle Religionen gleich kritisiert – das dürfen sie. Auch wenn ich bei den Karikaturen Verantwortungs- und Fingerspitzengefühl vermisst habe, so darf das doch nicht zu Gewalt führen!
Die Finanzierung von Religionsgemeinschaften aus dem Ausland ist problematisch, da gab es in den letzten Jahrzehnten zu viel Glaubensdogmatik, zu wenig Einfühlungsvermögen in die lokale Community. Es haben zwar alle vom Dialog geredet, aber ihn nicht geführt. Ein schönes Beispiel für erfolgreichen Austausch zwischen den Religionsgemeinschaften ist das jährliche Fest der Begegnung, das Sepp Gruber organisiert. Da kommen alle zusammen und haben mal einen Anlass, sich auszutauschen.
Erleben Menschen aber, dass sie ausgegrenzt werden, laufen sie eher Gefahr, sich zu radikalisieren. Das sieht man derzeit leider an allen Ecken. Natürlich wird es auch in St. Pölten Sympathisanten für radikale Ideen geben. Wir plädieren darum dafür, dass man Kinder religiös bildet. Wir sagen: Bringt sie zum Religionsunterricht, damit sie eine Ahnung haben! Wer seinen Glauben nicht kennt, der ist anfällig für Extremisten. Der arme 14-jährige Schüler wurde von Fanatisten sogar zum Feind seiner eigenen Volksgruppe gemacht. Er hat alevitische Wurzeln, sympathisiert aber nun angeblich mit dem sunnitschen IS, der der Reihe nach Aleviten abschlachtet.
Das Gelingen von Integration ist das Eine, das Überwinden von Angst und Vorurteilen das Andere. Ein ehrliches Gespräch zwischen Menschen mit unterschiedlichem Glauben und Background kann dabei die Welt verändern. Man muss sich nur trauen!